("Die Chronik zu Muschwitz und Söesten", Kapitel 28. S. 387 -395, Volkmar Landmann, Helmut Potzelt, Sylke Thate)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Fußball ein Fremdwort auf dem Dorf. Die Bauern hatten andere Sorgen, als mit Geschrei auf einer Wiese umher zu rennen und sich beim Kampf um einen Ball gegenseitig vor die Schienbeine zu treten. Nur in den seltensten Fällen sah man deshalb die Kinder von Bauern beim Fußballspielen. Einen Sportplatz mit Toren und Netzen, einen richtigen Lederball, Fußballschuhe und richtige Spielregeln hatte man nicht. Die Bauernkinder mussten auf dem Feld arbeiten. So war es dann, dass in erster Linie Arbeiterkinder bzw. die Söhne wohlhabender Bürger dem runden Leder nachjagen durften. Die Arbeiter gründeten nach dem ersten Weltkrieg in Muschwitz den Arbeitersportverein als Turnverein, der bis 1928 existierte. Nach dem zweiten Weltkrieg fand dann 1946 eine Neugründung statt mit den Sparten Fußball und Kegeln. Die heimische Kegelbahn war die Einbahnkegelanlage im Gasthof Werner. Auch der „Goldene Löwe“ hatte eine Kegelbahn, die in erster Linie für Ausflügler gedacht war. Da Einbahnkegelanlagen für Wettkämpfe nicht mehr zu gelassen waren, wurden sie still gelegt und bei Umbauarbeiten abgerissen. Seitdem gab es die Sparte Kegeln in Muschwitz nicht mehr.
Für den neu gegründeten Sportverein wurde ein Fußballplatz gesucht. Unterhalb des Safranberges (Safferberg) wurde eine Wiese gefunden, die sich für einen regulären Spielbetrieb eignete. Der Safferberg bot auf der Nordseite durch seine Hanglage eine natürliche Tribüne und die nahe gelegene Schule diente als Umkleideraum, vor allem in den Wintermonaten. Toiletten waren dort auch vorhanden. Nur die Südseite des Platzes machte Probleme. Denn dort gab es eine natürliche Begrenzung durch den Grunaubach. Es kam immer wieder vor, dass der Ball in den Bach rollte und mit einer Ballangel wieder heraus gefischt werden musste. Das hatte zur Folge, dass sich der Ball mit Wasser vollsog und immer schwerer wurde. Das nächste Problem war der Winter und das folgende Tauwetter mit der Schneeschmelze im Frühjahr. Der gefrorene Boden nahm kaum Wasser auf und so kam es letzten Endes zu einer Schlammschlacht anstatt eines schönen Fußballspiels. Die Zuschauer mag das vielleicht amüsiert haben, aber nicht die Spieler und schon gar nicht den armen Tormann. Am wenigsten waren darüber die Spielerfrauen erfreut, die die verschmutzten Sachen wieder waschen mussten. Die Lösung konnte nur ein neuer Sportplatz an einer günstigeren Stelle sein. Denn Drainagen oder gar Rasenheizung konnte sich ein kleiner Verein wie Muschwitz nicht leisten. Als es in den ersten Jahren nach dem Krieg noch kein Fernsehen gab, kamen oft einige hundert Zuschauer zu den Spielen. Solche Zahlen wurden auf dem neuen Rasenplatz, der nur einige hundert Meter weiter lag, nur noch selten erreicht. Diese spontane Begeisterung, der Ehrgeiz zu gewinnen und das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde nur in den ersten Jahren nach dem Krieg erreicht.
Der Sportverein Muschwitz wurde 1946 als SG (= Sportgemeinschaft) gegründet. Später wurde eine BSG (= Betriebssportgemeinschaft) Traktor Muschwitz mit der LPG als Trägerbetrieb daraus. Nach der Wende wurde der Verein in einen SV (Sportverein) umbenannt.Die Gründungsmitglieder waren Walter Taubert als Vorsitzender, Willi Mühlstäff und Oswald Taubert, Arno Bliedtner als Vorstand, Hans-Werner Pfeifer als Technischer Leiter und Ronald Fischer als Hauptkassierer. Die Spieler der ersten Generation waren in erster Linie Kriegsheimkehrer und Umsiedler der Jahrgänge 1910 bis 1930. Das waren im Einzelnen: Rudi Wolmirstedt, Erich Kunze (Popelpaps), Paul Dzuik, Erich Eichner, P. Freyer, Oswald Stock, Martin Koch, Kurt Hopfe, Kurt Kiez, E. Jakob, H. Kleinert, Werner Starosta, Kurt Keil, Kurt Görmer, Henri Rauh, Heinz Kittel, W. Roschlapil, Alfred Ritzschke, Heinz Gurland, Herold Eichner, Gerhard Schmidt, Alfred Zink, Horst Plöttner, Hans-Werner Scharf, Werner Knobloch, Helmut und Werner Schmidt. Durch Zuzug kamen Rudi Böhme (der Affe), Horst Richter, Walter und Kurt Müller dazu und nach Unstimmigkeiten mit ihrem früheren Verein Großgrimma: Walter Dittrich, Otto Weber, Werner Pelka, Heinz Scharrig und Walter Bach. Hans-Werner Pfeifer, Horst Röbel, Gerold Eberhardt, Siegfried Schubert, Volkmar Röhrig, Volkmar Kötteritsch, Rolf Meinhardt und Harri Winter komplettierten in der nächsten Generation die Mannschaften. Ehrhard Löwe (der Buck), Werner Scharf und Willi Mühlstäff fungierten als Schiedsrichter. Ein Unikum der besonderen Art und eine regelrechte Torwartlegende war der stotternde Rolf Meinhardt auch Rolf Exner oder k.o.-Mann genannt. Trotz seiner geringen Größe war er vor allem am Boden fast unüberwindbar. Er freute sich diebisch, wenn er wieder einen Ball gehalten und seiner Mannschaft den Sieg oder das Unentschieden gerettet hatte. Dafür bekam er nach dem Spiel soviel Freibier zu trinken, dass er es gerade noch bis nach Hause schaffte. Furchtlos warf er sich in jedes Ballgetümmel vor seinem Tor. Keine Matschpfütze war ihm zu tief. Dementsprechend sahen auch seine Klamotten aus, die er nach dem Spiel kurzerhand im nahen Bach wusch. Wer ihn einmal in Aktion gesehen hatte, sprach wochenlang nur vom k.o.-Mann.
Ende der 40er Jahre fand als Höhepunkt der Saison ein Fußballspiel gegen die SG- Langendorf statt, später die BSG-Fortschritt bzw. SC-Weißenfels statt. Es war die Mannschaft, die einige Jahre später die Liga regelrecht aufmischte und verdientermaßen den Aufstieg in die Oberliga der DDR schaffte. Die Namen der Spieler von Langendorf sind noch jedem Fußballfan im Gedächtnis geblieben: Rosenheinrich und Fernau, Kurt Bindernagel, Paul Nowak, Horst Bechstedt, Franz Straube, W. Harnisch, Werner Lazer, Fredi und Paul Reinhardt, Hans Ackermann, Edgar Wenzel. Dazu gehörten noch Dieter Riemenschneider, H. Meyer, H. Degenkolbe, W. Blatt und Dieter Gänkler. Gegen diese Mannschaft hatten unsere Kicker mit ihrem jungen Torwart Henri Rauh keine Chance und verloren mit 8 zu 2 Toren.
Trotz dieser Niederlage, der später noch etliche folgten, fand jedes Jahr ein lustiger Sportlerfasching statt. Der Höhepunkt war einmal die “Rungsmühle“, eine Verjüngungsmaschine für alte Frauen, die nur über eine Rutsche von der Galerie zugänglich war und einen Riesenspaß brachte. Schön waren auch die Fußballspiele gegen eine Mannschaft aus Radebeul bei Dresden, die durch Vermittlung alter Kriegskameraden zustande gekommen waren. Nach einem herzlichen Wiedersehen und einem ausgiebigen Mittagessen, konnten die Radebeuler kaum laufen und verloren mit 1 zu 6. Beim Gegenbesuch in Radebeul revanchierten sich die Sachsen und gewannen. In den 60er Jahren schlief dann diese Beziehung ein. Die alte Generation war abgetreten. Einige schon gestorben. Ein etwas trauriges Kapitel waren die Pokalspiele. Die SG nahm in den ersten Jahren nach dem Krieg an interessanten Pokal Wettbewerben teil. Mit mal mehr und mal weniger Erfolg. In solch einem Wettbewerb gewann die Elf aus Muschwitz den Pokal. Es war ein sehr schönes Exemplar aus braunem Steingut als Fußball geformt. Da nun aber die Muschwitzer den Pokal gestiftet hatten, verschenkten sie die Trophäe der letztlich unterlegenen Mannschaft. Diese bedankten sich freudig und nahmen den Pokal mit nach Hause. Seitdem hat die erste Mannschaft der SG Muschwitz keinen Pokal mehr gewonnen. 1951 beteiligte sich die Schülermannschaft am Wettbewerb um den Kreispokal und gewann diesen gegen Hohenmölsen. Wie es das Schicksal wollte, haben wir diesen Pokal nie erhalten. Hat die erste Mannschaft damals aus Fairness-Gründen ihren Pokal verschenkt, so muss man in letzterem Fall von einer großen Unsportlichkeit seitens des Kreissportausschusses sprechen, dass uns dieser Pokal nicht überreicht wurde.
Nach 60 Jahren sieht man diese Sache nicht mehr so tragisch, aber vergessen hat man es nicht. Aus bekannten Gründen wurde nach 1952 ein neuer Sportplatz gebaut und 1954 mit großer Zeremonie eingeweiht. Zum 50-jährigen Bestehen des Sportplatzes wurde aus finanziellen Gründen kein großer Aufwand betrieben und die Feier ohne großes Zeremoniell über die Runden gebracht. Der Verein hatte früher keine Nachwuchssorgen. Immer wieder brachte der Sportverein junge Talente hervor, die sogar Angebote von höherklassigen Vereinen bekamen. Einen bösen Einbruch erlebte der Verein Anfang der 60er Jahre. Die erste Mannschaft stand an der Spitze der Tabelle in der 1. Kreisklasse und hatte Aufstiegschancen zur Bezirksklasse. Im Kreissportbund gab es aber Neider, die unserem Verein ihre Leistungen und Erfolge nicht gönnten. Sie schalteten das Wehrkreiskommando ein und so kam es, dass gleichzeitig fünf unserer besten Spieler zum Wehrdienst eingezogen wurden. Dadurch gingen die letzten entscheidenden Spiele verloren und die BSG Muschwitz stieg nicht auf. Es kam sogar soweit, dass infolge Spielermangels die zweite Mannschaft aushelfen und dadurch vom Spielbetrieb abgemeldet werden musste. Es wurde so arg, dass die Mannschaft aus der 1. Kreisklasse in die 2. Kreisklasse abstieg. Dieser Tiefpunkt wurde erst nach Jahren überwunden und die erste Mannschaft stieg in die 1. Kreisklasse auf.
Der alte Sportplatz war zwar schön und zweckmäßig gelegen. Mit seiner Hanglage besaß er eine natürliche Tribüne, aber er machte auch Probleme. Unmittelbar am Spielfeldrand floss der Grunaubach vorbei und der Ball war öfter im Wasser als auf dem Spielfeld. Der Platzwart hatte sich eine Ballangel bauen lassen, um den Ball wieder heraus zu fischen. Aber die Lederbälle wurden durch das unfreiwillige Bad immer schwerer. Wenn im Frühjahr die Schneeschmelze kam, war der Platz wochenlang unbespielbar. Nach starken Regenfällen wurde der Hang abgespült und der Platz musste wieder freigeschaufelt werden. Und dann ging auch noch quer über den Piatz ein Trampelpfad in das Nachbardorf. Es wurde deshalb im Jahre 1950 beschlossen, einen neuen Sportplatz anzulegen. Ein neuer Standort war bald gefunden und die ganze Gemeinde legte Hand an beim Bau des neuen Sportplatzes. Es waren große Erdmassen zu bewegen. Bagger und Raupen hatte man noch nicht zur Verfügung. Das Braunkohlenwerk stellte Feldbahngleise und zwei Loren aus dem Tagebau, die mit der Hand beladen und geschoben werden mussten. Die Bauern leisteten Gespanndienste und bereiteten eine saubere Fläche vor, auf der das Gras gesät werden konnte. Die Einweihung erfolgte 1954. Der Chronist war Internatsschüler und kam nur in den Ferien zum Einsatz an dem neuen Sportlerheim. Mein Vater war einer der Aktivsten. jede freie Minute opferte er für die Gemeinde und den neuen Sportplatz. Als Höhepunkt spendete er die Geldprämie, die er für die hervorragende Erfüllung seines Ablieferungssolls erhalten hatte, der Sportgemeinschaft für den Kauf neuer Dresse. Meine Mutter hatte das Nachsehen. Sie hätte sich auch wieder einmal etwas Neues zum Anziehen gewünscht. So musste sie zum Sportlerball wieder ihr altes Kleid anziehen. Zur Einweihung des neuen „Stadion des Friedens“ am 1. August 1954 waren zunächst Wettkämpfe des Ortsvereins vorgesehen. Für das Hauptspiel war die Oberligamannschaft von Stahl Thale gegen eine Kreisauswahl organisiert worden. Damit die Höherklassigen sich standesgemäß waschen und umkleiden konnten, musste noch auf schnellstem Wege ein Sportlerheim her. Auf eine Baracke, wie sie viele Dorfvereine besaßen, wollte man sich nicht einlassen. Das wäre eine Blamage gewesen. Man wollte etwas Dauerhaftes. Aus Lottomitteln wurden 20.000,- Mark für Materialeinkäufe bereitgestellt. Die Arbeitsleistung mussten die Sportler und die Sportinteressierten erbringen. Das Projekt wurde erarbeitet und auch sofort genehmigt. Alle Reserven wurden mobilisiert und in kürzester Zeit stand der Rohbau. Ich durfte in den Schulferien bei den Erdarbeiten helfen. Pünktlich zur Einweihung war auch der Innenausbau fertig und das Sportlerheim zur Nutzung freigegeben. Der Außenputz wurde später realisiert. Der neue Sportplatz war in einem sehr guten Zustand. Anlässlich der Einweihung am 01. August 1954, gab es ein großes Fußballturnier mit der Oberligamannschaft von Stahl Thale als Gastmannschaft und einem kulturellen Rahmenprogramm für die 4000 Zuschauer. Überall wehten die Fahnen der DDR, der Sportorganisationen und des Ortsvereins. Über 4000 Zuschauer wollten an dem Spektakel teilhaben. Das Spiel der Hauptakteure endete gerechterweise 4:4 unentschieden. Der Sportlerball am Abend war ein gelungenes Fest. Der große Saal der Gaststätte in Muschwitz konnte die Gäste kaum fassen. Alle die dabei gewesen waren, erinnerten sich noch nach Jahren an diese schöne Zeit.